Ein Fotobuch über ein Ereignis zu machen, das schon über 50 Jahre zurückliegt, dazu noch aus Archivmaterial der NASA, erscheint auf den ersten Blick ein ebenso ungewöhnliches wie anachronistisches Unterfangen zu sein. Wo sich andere Grafikdesigner mit Emojis, Glitch-Effekten und 3D-Renderings beschäftigen, hat sich der Stuttgarter Steffen Knöll der inhaltlichen und gestalterischen Aufbereitung der ersten Mondlandung angenommen – in einem überformatigen und liebevoll typografierten Buchprojekt. Grund genug, Steffen einige Fragen über seine Motivation und die Herausforderungen bei der Umsetzung seiner Idee zu stellen.
Wie kam dir die Idee zu diesem ungewöhnlichen Buchprojekt?
2015 bin ich per Zufall über das zum damaligen Zeitpunkt frisch veröffentlichte gesamte Apollo-Fotografie-Archiv der NASA gestoßen. Als Printenthusiast habe ich versucht dieses Archiv in gedruckter Form zu erstehen. „Das sollte es ja irgendwo zu kaufen gebe“, dachte ich. Leider war diese Suche ergebnislos. Es gibt natürlich unzählige tolle Bücher über die Mondlandung wie zum Beispiel Full Moon von Michael Light, das eine Auswahl der „besten“ Fotografien der Apollo 11 Mission zeigt und den tollen Bericht von Jesco von Puttkamer mit dem Titel „Columbia hier spricht Adler!“. Aber es gibt leider kein Buch, das einen Großteil der Fotografien von der Mondlandung zeigt.
Ich saß weitere drei Jahre auf den Daten – hin und hergerissen, wie ich dieses Projekt abbilden und veröffentlichen könnte. Die Frage, ob es das gesamte Archiv in einem kompletten Kompendium geben müsste, blieb lange ungeklärt. Während meines Diploms an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart (ABK) hat sich diese Frage aber schlussendlich erübrigt. Ich fasste den Beschluss, das Buch auf meine Art zu publizieren – zwar nur als Begleitobjekt für eine Ausstellung zum gleichnamigen Thema, aber bereits zwischen zwei Buchdeckeln gebündelt.
Zwei Anläufe und unzählige Arbeitsstunden engagierter Projektbeteiligter später, ist das Buch bei Spector Books in Leipzig erschienen.
Dem vorangegangen ist der Förderungswettbewerb für junge Buchgestalter:innen namens Discovered. Eine Kooperation der Buchinstitute der ABK Stuttgart, der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und der Hochschule für Buchkunst und Grafik Leipzig, die von Prof. Uli Cluss, Prof. Markus Dreßen, Prof. Ingo Offermanns und Prof. Ludovic Balland initiiert wurde und durch die das Buch großzügig finanziell und beratend unterstützt wurde.
Bitte erkläre uns mal das Gestaltungskonzept von Apollo 11.
Das Buch Apollo 11 — Man on the Moon — The Visual Archive ist ein Archivkompendium, das alle Fotografien der Apollo-11-Mondlandung und jene, die vorab in der Vorbereitungsphase entstanden sind, abbildet. Dafür ist das Buch sinnbildlich in zwei Teile gegliedert: Der erste Teil, der vierfarbig auf weißes Papier gedruckt die Geschehnisse auf der Erde bis zum Lift-Off zeigt und einen, der alle Fotografien im Weltall und auf dem Mond abbildet.
Im zweiten Teil sind die Bilder zudem gestalterisch und drucktechnisch leicht von den Originalen entfremdet. Mit silberner Farbe sind diese auf tiefschwarzem Papier festgehalten. Das entfremdet die allzu bekannten, ikonografischen Aufnahmen und fordert von der betrachtenden Person einen neuen Blick auf diese Fotografien. Dadurch erhalten die Bilder und das Buch einen neuen Sinn: eine Schärfung des Blicks auf bereits Gesehenes ohne dabei der Faszination des Bildmaterials zu entsagen. Nebenbei wird dabei die Frage beantwortet, wieso es das Buch in gedruckter Form benötigt, da doch alle Bilder online zu Verfügung stehen. Silberne Farbe digital abzubilden geht nicht. Das haptische Erfahren der Bilder sowie deren Entfremdung durch dieses Druckverfahren schaffen über Umwege neue Zugänge — dass das Silber dabei an den schimmernden Mond erinnert, tut dem Konzept keinen Abbruch.
Im vorderen Teil des Buches findet sich zudem eine kleine Abhandlung der Bedeutsamkeit des Mediums Fotografie für die Mission und für die Unsterblichkeit der drei Astronauten. So riet bereits Anfang der Sechziger Jahre Richard Underwood, Leiter der Fotografie bei der NASA, den Astronauten die immerhin alle Fotografien der Mission selbst aufnahmen und dafür etliche Trainingseinheiten absolvierten, dass der Schlüssel zu ihrer Unsterblichkeit in der Qualität ihrer Fotografien liege und in nichts anderem: “The key to immortality is in the quality of the photographs and nothing else”.
Was fasziniert dich an der Raumfahrt im Allgemeinen und an der Apollo 11 Mondmission im Speziellen?
Die Raumfahrt fasziniert mich vor allem durch das, was sie passiv vermittelt. Natürlich sind die ganzen technischen Errungenschaften, die wir durch die Raumfahrt genießen dürfen spannend. Aber die Raumfahrt vermittelt einem das Gefühl von Ehrfurcht und dem Traum, dass wir Menschen Teil von etwas Größerem sind. Etwas Größeres, das wir bereisen und erkunden sollen und können. Auch wenn wir eventuell gerade erst am Anfang der Raumfahrt stehen, teile ich die Meinung von Professor Brand (Charakter aus Christopher Nolans Film Interstellar; gespielt von Michael Caine), wenn er sagt: „We’re not meant to save the world, we are meant to leave it.“ Zumindest die zweite Hälfte, den ersten Teil sehe ich etwas anders.
An der Mondmission fasziniert mich die Tatsache, dass es Menschen tatsächlich geschafft haben, diesen seit Jahrtausenden gehegten Menschheitstraum, der in unzähligen literarischen Werken behandelt wurde, wahr werden zu lassen. Ein Zivilist (kein Soldat!) hat als erster Mensch einen Fuß auf den Mond gesetzt und das während die gesamte Weltbevölkerung live dabei zugesehen hat. Unvorstellbar – in Fassbarkeit und in emotionaler Kraft. Es gibt eine Fotografie, die vom Piloten Michael Collins aufgenommen wurde. Diese zeigt das Lunar Module mit Neil Armstrong und Buzz Aldrin besetzt und der Erdkugel im Hintergrund. Michael Collins ist der einzige Mensch in unserem Universum, der auf diesem Bild nicht eingefangen wurde. Ein unendliches Gefühl von Einsamkeit, aber auch von Ehrfurcht muss ihn überkommen haben, als er dies realisiert hat. Unfassbar und deshalb so unglaublich faszinierend.
Warum ist es so schwierig, ein Fotobuch aus Archivmaterial zu machen?
Zuerst ist es ein ziemlich aufwändiges Unterfangen herauszufinden, welche Bilder man rechtlich unbedenklich abbilden darf und für welche man gegebenenfalls die Bildrechte einholen muss. Im Fall der Apollo 11 Bilder war das zwar eine etwas kleinere Hürde, da NASA die Bilder vor allem für Publikationsprojekte frei von Rechten zur Verfügung stellt. Aber dennoch, für den ungeübten Herausgeber eine große Herausforderung. Neben dieser Aufgabe, steht natürlich eine sinnvolle und fehlerfreie Abbildung der Fotografien im Fokus. Bilder sollten nicht nur bildbearbeitungstechnisch gut wiedergegeben werden, sondern auch in ihrer Strukturierungslogik richtig gesetzt werden. Das erfordert eine intensive Recherche und den Abgleich unzähliger Quellen mit dem vorhandenen Material. Außerdem muss man natürlich den Mehrwert einer Neuauflage herausarbeiten. Ein Buch um des Buches Willens zu machen ist ein nobles Anliegen, holt aber sicherlich niemandem hinter dem Ofen hervor. Gerade hier braucht es einen zeitgenössischen Ansatz und Zugang zur Thematik.
Im Kontext von Apollo 11 und den damit verbundenen „Verschwörungstheorien“ und dem stetigen Aufkommen von Leugnenden des Faktischen, ist so eine Publikation natürlich ein Bekenntnis zur Dokumentation und den Glauben an eine faktenbasierte Wissenschaft als Werkzeug der Welterschließung. Kurz: Apollo 11 — Man on the Moon — The Visual Archive ist das Bekenntnis zum Faktischen in einer Welt, die, so beschreibt es der Fotograf und Künstler Jos Jansen in seinem Buch „Universe“, in einer „post-truth era“ angekommen zu sein scheint. (erschienen bei The Eriskay Connection).
Welche Herausforderung hast du bei der Produktion des Buches meistern müssen?
Neben den bereits beschriebenen inhaltlichen und gestalterischen Herausforderungen war natürlich die Finanzierung und das „Schmackhaftmachen“ bei einem Verlag eine große Herausforderungen. Auch die Koordination aller Projektbeteiligten durch meinen Geschäftspartner Sven Tillack und mich, mit unseren beiden Mitarbeitern Niklas Berlec und Vincent Herbet (Großes Lob an der Stelle an die beiden), der Übersetzerin Sara Hoss, der Lektor:innen Mike Pilewski und Hanne Mächler, der Druckerei Offizin Scheuflen und den Verleger:innen Anne König, Jan Wenzel, Markus Dreßen sowie meiner Hochschule der ABK Stuttgart vertreten durch Prof. Uli Cluss war eine große Aufgabe. So ein Projekt wird ja neben den täglichen Aufgaben als Designer in der Freizeit gemeistert und wird eben nur so erfolgreich wie das Zusammenspiel aller Projektbeteiligten.
Hast du eine Lieblingsdoppelseite im Buch?
Meine Lieblingsseite ist definitiv die allererste des Buches. Es zeigt die Widmung neben einer Abbildung des Mondes. Das Buch ist Margaret Hamilton, Mary Jackson, Katherine Johnson, JoAnn H. Morgan, Dorothy Vaughan und allen NASA Wissenschaftler:innen gewidmet, ohne die es dieses Buch und die Mondlandung niemals gegeben hätte. Sie waren genauso von Bedeutung, wie die drei Astronauten. Ohne sie würden wir vielleicht immer noch von drei Reise zu diesem schimmernden Erdtrabanten träumen. Außerdem sind die vier genannten Frauen Vorreiterinnen gewesen, die nicht nur die physischen Grenzen der Atmosphäre, sondern auch die Grenzen damals geltender gesellschaftlicher Konventionen, die von Rassismus, Rassentrennung und das Patriarchat geprägt waren, durchbrechen konnten.
STEFFEN KNÖLL (geboren 1989) ist Kommunikationsdesigner, Herausgeber und Dozent an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Zusammen mit Sven Tillack hat er 2018 Studio Tillack Knöll gegründet und arbeitet seitdem konzeptorientiert an der Schnittstelle von Design, Architektur, Wissenschaft und Wirtschaft. Er ist zudem ehrenamtlich in der Designszene engagiert, hält Vorträge und Jurytätigkeiten bei Designwettbewerben. In seiner Freizeit sammelt er leidenschaftlich Bücher.