Superkräfte – Welche Magie braucht unsere Welt?
Texte:
Illustration: Nora Kraska
Prolog: Alexandra Zenleser
Redaktion: Alexandra Zenleser
Magier:innen verzaubern uns mit ihren übersinnlichen Tricks und Illusionen. Superheld:innen faszinieren uns mit ihren übernatürlichen Fähigkeiten, die uns Menschen vor bösen Kräften und Gefahren retten können. Übermenschliche Kräfte können jedoch auch unheimlich erscheinen. So galten Hexen als Außenseiterinnen der Gesellschaft, was bis zur Verfolgung und Gewalt an ihren Körpern führte. Magie hatte und hat vermutlich nicht immer Platz in unserer sehr rational geprägten Sichtweise.
Wenn Du eine Superkraft wählen könntest, welche wäre das?
Fliegen? Unverwundbarkeit? Oder vielleicht etwas ganz Unscheinbares? Denn müssen Superkräfte und Magie, außerhalb ihrer Definition, zwingend übermenschlich sein? Oder können menschliche Handlungen und Konzepte wie Solidarität und Gemeinschaft ebenfalls Magie schaffen und sich ganz natürlicher Sinne bedienen? Verbundenheit kann Zuversicht spenden. Grenzenlose Vorstellungskraft macht scheinbar Unerreichbares möglich. Auch Hexen versuchten sich durch eine menschliche Kraft von der Gewalt an ihnen zu befreien. Kein Zaubertrunk, keine Unsterblichkeit, keine Hexerei, sondern das konsequente Festhalten an ihrer Existenz. Widerstand als Superkraft!
Ist Magie eine Frage von Perspektive? Von Kultur oder Glauben? Müssen Fähigkeiten erst unerklärlich sein, um als Superkraft oder Magie zu gelten? Auf einen magischen Ausflug in ihre Gedanken nehmen unsere Autor:innen, Eva Cathrin Scholl, Matthias Straub und Kata Bachmann uns in dieser Ausgabe mit.
„Entunterwerfung“ statt Entzauberung?
Yes, please!
Ob magische Wesen aus Fabeln oder die Marvel-Superheld:innen: Hexen, Drachen, Magier:innen und Superhelden haben mein aufwachsendes Ich begleitet. Sie haben mir ermöglicht, einen Zugang zur Welt erschaffen, der außerhalb nerviger Hausaufgaben, präpubertärer Konflikte und des Alltags eines provinziellen Stadtteils am Rande von Köln lag. Meine Vorbilder entsprangen Comics und Fernsehserien. Besonders die animierte Serie Simsalabim Sabrina, die ich damals rauf- und runterschaute, faszinierte mich. Die Serie handelt von Sabrina, einer zwölfjährigen Halb-Hexe, die sich im Spannungsfeld ihrer magischen Superkräfte und den Problemen einer heranwachsenden Mittelschülerin in der Welt der „Sterblichen“ bewegt. Vermutlich mochte ich Sabrina damals so gerne, weil sie für mich ein greifbarer Charakter war: Sie war einerseits ein Mädchen mit übersinnlichen Kräften und andererseits erinnerte sie mich als adoleszentes Individuum an mich selbst.
Je älter ich wurde, desto mehr verlor ich das Interesse an Sabrina und Co. Erst im universitären Kontext begegnete ich den Hexen erneut, besonders in Verbindung mit materialistisch-feministischen Strömungen. Beispielsweise durch die Forschung von Philosophin und Aktivistin Silvia Federici setzte ich mich aus einer anderen Perspektive mit Hexen auseinander. Zum ersten Mal wurde mir die an den Hexen verübte Gewalt, die sich im Zuge der fortschreitenden Rationalisierung der Welt vollzog, bewusst. Ich erfuhr, dass Hexen als Ehebrecherinnen oder promiskuitive Frauen verfolgt und marginalisiert wurden, dass ihr Wissen über den weiblichen Körper und dessen Reproduktion enteignet und kriminalisiert wurde. Die Magie erschien im Zeitalter des Übergangs zum Kapitalismus als Arbeitsverweigerung und war eine Bedrohung für die Nutzbarmachung von Körpern. Die Hexen wurden also gezielt verfolgt und gejagt. Mit Wut und Trauer begegnete ich den Erzählungen über die verübte Gewalt an den Hexen.
Gleichzeitig faszinierte mich ihr Widerstand gegen die grauenhafte Verfolgung: Die Hexen widersetzten sich vehement der Machtübernahme ihrer Körper und Lebensweise. Ihr Widerstand bestand im nachdrücklichen Festhalten an der eigenen Existenzweise, im Abwenden von den neuen Machtstrukturen, die die Prozesse der Rationalisierung und Naturbeherrschung mit sich brachten.
Ich denke, dass es diese Form des Widerstandes ist, die mich an den Hexen begeistert. Sie ist für mich die „wahre Magie“ oder „Superkraft“ der Hexen. Jene Art des Widerstandes regt mich zum Nachdenken an: Es handelt sich hier um eine alternative Form der Selbstorganisation, die wir auch in unsere modernen Lebensweisen miteinbeziehen könnten. Diese Form der Selbstorganisation begründet sich im Rückzug oder im Akt des Sich-Abwendens. Sind wir in einen Konflikt verwickelt, sei es ein politischer, sozialer oder auch ein räumlicher, bekommen wir schnell das Gefühl, wir müssten jederzeit aktiv am Konfliktgeschehen teilhaben. Aber warum sollte es nicht genau so wichtig sein, sich von einer Situation oder einem Konflikt abzuwenden oder loszulösen?
In meinem letzten Artikel für GUESTBOOK skizzierte ich das Spannungsfeld meines Familiensystems im Verhältnis zum Erlangen von Autonomie. Ich verhandelte die Problematik von Nähe und Distanz. Als Lösungsansatz habe ich die Konfrontation als die notwendige Bedingung des In-Kontakt-Tretens charakterisiert.
Es ist eben nicht selbstverständlich, aktiv an einem Konflikt teilzunehmen. Es ist ein Privileg. Daher sind es Empathie, Sensibilität und Sorge, die dem Konflikt vorausgehen. Aus diesem Grund müssen wir, angelehnt an die Praktiken der Hexen, subversive Formen des Widerstandes in Betracht ziehen, bei denen jeder Körper die Möglichkeit einer Partizipation bekommt.
Text: Eva Cathrin Scholl
Welche Superkräfte braucht die Welt?
Eine Überlegung von Matthias Straub
„Would you rather …?“ Dieses amerikanische Imaginationsspiel kommt mir in den Sinn, als mich mein zwölfjähriger Sohn fragt, ob ich lieber fliegen oder unter Wasser atmen können würde.
Ich überlege. Natürlich habe auch ich mir als Kind immer vorgestellt, wie ich im Freibad alle anderen im Luftanhalten besiegen würde. Oder wie ich im Urlaub einfach ohne Schnorchel im Meer unter Wasser den bunten Fischen nachjage, ohne auftauchen zu müssen – weil ich ja unter Wasser atmen kann!
Außerdem hatte ich wie viele andere Menschen auch immer wieder im Traum Panik, weil ich ins Wasser stürze und zu ertrinken drohe. Dabei bemerke ich aber auf einmal, dass ich gar nicht in Gefahr bin: Ich muss nicht ertrinken, weil ich unter Wasser meine Lungen wie gewohnt mit Luft füllen kann. Eine in der Tat sehr reizvolle Vorstellung.
Aber dann kommt mir wieder in den Sinn, wie ich vielleicht in genau denselben Träumen – oder auch in anderen – von einem Haus oder einer Klippe springe, meine Arme ausbreite und einfach davonfliege. Dieses erträumte Gefühl von Freiheit und der erhabenen Vorstellung eine andere, ganz neue Perspektive einnehmen zu können, überragt die Fähigkeit unter Wasser die Luft nicht anhalten zu müssen bei Weitem!
Dabei halte ich es wie Michael Ende, der dieses Gefühl in seinem Gedicht „Der Traum vom Fliegen“ so beschrieben hat:
Du fliegst und du fliegst und du brauchst kein Ziel
Das Dasein selbst ist Glück!
Keine Grenze dort unten bekümmert dich viel,
du möchtest nie zurück.
Kein Ziel haben zu müssen, einfach nur um des Fliegens Willen ohne das Klima mit Emissionen zu belasten in der Luft sein zu dürfen, nur „zu sein“ ohne etwas darstellen zu wollen, keine Grenzen zu kennen und ohne Einschränkungen Neues kennenlernen zu können erschien ihm das größte Glück. Das fühle ich.
Und so steckt hinter der erdachten Superkraft fliegen zu können, vielleicht eine noch kraftvollere Fähigkeit, die der Welt und den Menschen Hoffnung schenken kann: Nämlich sich wieder wie ein Kind die eigene Realität erträumen zu können.
Text: Matthias Straub
Zuversicht
I
Wir haben den teppich hier ausgerollt, wir haben das muster gewebt und es davor auf einem screen
Entworfen. mit unseren glänzenden fußspitzen haben wir einen
Kreis gemalt in den nachgiebigen stoff. wir
Gehen jetzt. sollten Sie im laufe der woche feststellen, dass sich der teppich
Dem grundriss nicht fügt. rufen Sie an.
II
Es kleben mir krümel an den sohlen. Davon komm ich nicht weg. Weißt du wohin?
Es liegen da äpfel mit bissspuren in der schale. und abgekaute fingernägel in den ecken. unter den stoffen.
Ich trage das mit mir
–
Wir sind die steine geschliffen vom wasser
Liegen sanft in der luft. Ihr könnt
Uns nicht fassen. unterscheidet uns nicht.
III
Rechne mir aus mit dir malend
Deine haare sehe dich schon – meine im wind. Wie lang hast du gewartet?
Du hast mich geküsst so leicht ich merkte es kaum.
Text: Kata Bachmann